SUV ohne Rückblick – was der Verzicht auf die Heckscheibe bringt
Ein Auto ohne Heckscheibe? Klingt nach einem gewagten Konzept – ist aber beim Polestar 4 Realität. Der Verzicht erlaubt ein verlängertes Panoramadach, mehr Kopffreiheit im Fond und ein ungewöhnlich luftiges Raumgefühl. Der digitale Rückspiegel übernimmt die Sicht nach hinten – per Kamera. Bei Tag, Nacht und Regen funktionierte das gut, jedoch: Wer den Schulterblick gewohnt ist, muss sich umgewöhnen. Auch das freundliche Heben der Hand zum Dank im Reißverschlussverkehr bleibt künftig leider unsichtbar.



Innenraum: Raumwunder mit minimalistischer Schwäche
Mit 4,84 m Länge und cleverer Bauweise bietet der Polestar 4 ein Raumgefühl auf Oberklasse-Niveau – besonders im Fond. Die rahmenlosen Türen und das durchgehende Glasdach verstärken diesen Eindruck. Das Ambiente ist hochwertig, auf Wunsch vegan, modern und fast komplett frei von klassischen Tasten. Das Bedienkonzept setzt radikal auf Touch. Alles läuft über das zentrale 15,4-Zoll-Display oder sensorgesteuerte Lenkradtasten. Während Menüführung und Reaktionsgeschwindigkeit überzeugen, bleibt das haptische Gefühl auf der Strecke – gerade bei der Fahrt nicht ideal.
Alltagserprobung: Schön, stark, aber nicht ganz ausgereift
Unser Team testete den Polestar 4 zwei Wochen lang. Besonders positiv fiel dabei die exzellente Geräuschdämmung auf – auch bei Autobahntempo bleibt es angenehm leise. Die Assistenzsysteme gehören zu den besten auf dem Markt: Spurführung, Abstandshalter, Spurwechselassistent – alles funktioniert präzise und intuitiv. Auch die Lenkung ist ein echtes Highlight: direkt, feinfühlig und dabei komfortabel.
Aber es gibt auch Schwächen:
Der „Schlüssel“ ist eigentlich eine Keycard in Form eines schlüssellosen Transponders – ohne Knöpfe. Türöffnung bei Annäherung klappte manchmal, manchmal nicht. Einmal wurden sogar während des Türöffnens die Griffe eingezogen – Finger eingeklemmt inklusive. Nicht schön.
Der Kofferraum (526 Liter, erweiterbar auf 1536 Liter) lässt sich nur über das Display oder die Fuß-Geste öffnen. Der äußere Knopf funktionierte bei unserem Testwagen nicht.
Rahmenlose Türen sehen toll aus – sorgen aber bei Regen für nasse Sitze, da sich das Wasser auf der Scheibe sammelt und beim Öffnen nach innen läuft.
Fahrleistung & Reichweite: Power und Komfort im Gleichgewicht
Getestet wurde die Long Range Dual Motor-Version mit:
- 544 PS / 400 kW
- 0–100 km/h in 3,8 Sekunden
- Allradantrieb
- Top-Speed: 205 km/h
- 100 kWh Batterie (Netto)
- Ladeleistung max: 208 kW
- 0–80 % in ca. 30 Minuten (DC-Ladung)
- Verbrauch im Test: 21–22 kWh / 100 km
- Reichweite im Alltag (Frühling, mit Winterbereifung): ca. 400–420 km
Die Performance überzeugt, ohne aufdringlich zu sein. Trotz der brachialen Leistung bleibt der Polestar ein komfortabler Gleiter – wenn man ihn lässt. Ab 160 km/h wird es innen allerdings deutlich lauter. Tempomat? Arbeitet zuverlässig – aber nur bis 130 km/h.
Kleiner Frunk, große Ladefläche – aber nicht ganz durchdacht
Der vordere Stauraum (Frunk) bietet gerade einmal 15 Liter – mehr als ein Ladekabel passt nicht hinein. Ärgerlich: Er lässt sich nur per Hebel im Fußraum öffnen. Nicht gerade futuristisch. Positiv dagegen: Die Ladefläche im Heck ist groß und eben, die Rücksitze lassen sich flach umlegen, zusätzlich gibt es eine 31-Liter-Wanne unter dem Ladeboden. Eine elektrisch klappbare Anhängerkupplung (1.720 € Aufpreis) zieht bis zu 2 Tonnen.
Software und Navigation: Google inside, Top-Integration
Das Infotainmentsystem basiert auf Android Automotive – mit nativem Google Maps, Sprachsteuerung und Play Store-Integration. Besonders praktisch: Ladeplanung funktioniert zuverlässig, inklusive Anzeige der verbleibenden Akkuladung bei Ankunft. Auch ohne App war die Smartphone-Anbindung per USB-C stabil und schnell.
Preis & Fazit: Kein Schnäppchen – aber ein Statement
Der Testwagen kostete rund 65.900 Euro – kein Sonderangebot, aber angemessen für Ausstattung und Leistung. Die Basisversion startet bei 57.900 Euro, dafür gibt’s den Single Motor mit mehr Reichweite (aber weniger Power).

Fazit nach 14 Tagen
Der Polestar 4 ist mutig, schnell und visuell ein echtes Statement. Er bietet viel Platz, starke Technik und ein außergewöhnliches Fahrerlebnis. Doch die Zukunft verlangt mehr als nur Vision – sie muss auch funktionieren. Und da gibt’s noch Luft nach oben.
+ Pluspunkte
✓ Einzigartiges Design
✓ Mega Glasdach
✓ Gigantischer Innenraum
✓ Top-Fahrleistungen
✓ Perfekte Assistenzsysteme
✓ Exzellente Geräuschdämmung
– Minuspunkte
– Bedienung teils umständlich (nach Einstellung mit Shortcuts, durchaus durchdacht)
– Unzuverlässige Türöffnung
– Kofferraum-Handling nervt
– Regennässe durch Türen
– Kein echter Schlüssel
Bewertung: 8 von 10 Punkten
Zukunft kann so gut aussehen – wenn sie noch etwas praktischer wird.